Projektbeschreibung

[A/CH/DE] Medienkompetenz oder Medienbildung (vgl. Baacke 1996 bzw. Jörissen/Marotzki 2009), Informations- und Nachrichtenkompetenz (vgl. Meßmer et al. 2021), digitale (Grund-)Bildung (vgl. Swertz 2018), digitale Mündigkeit (vgl. Bleckmann 2012), digitale Souveränität (vgl. Bettinger/Reißmann 2022), informationelle Selbstbestimmung (vgl. Albers 2015), informatische Bildung (vgl. Humbert 2011), Computational Thinking (vgl. Wing 2006), Digital Literacy (vgl. Buckingham 2007), Data Literacy (vgl. Van Audenhove et al. 2020) oder DigComp (vgl. Vuorikari et al. 2022) – was brauchen Menschen eigentlich, um in einer von (digitalen) Medien geprägten Welt (vgl. u. a. Brüggemann et al. 2016; KMK 2016) gesellschaftlich handlungsfähig (vgl. Hurrelmann 2002) zu sein? Mit dieser Frage befasst sich die Medienpädagogik – man glaubt es kaum – bereits seit fünf Jahrzehnten! Anlässlich des fünfzigsten Jubiläums von Dieter Baackes Habilitationsschrift widmen wir uns in der 23. Ausgabe der Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik dem tradierten medienpädagogischen Leitbild, der Medienkompetenz – vor dem Hintergrund des digitalen Wandels. Vor 50 Jahren veröffentlichte Dieter Baacke seine Schrift „Kommunikation und Kompetenz“ (Baacke 1973) und legte damit den Grundstein für die heute im medienpädagogischen Diskurs zentrale Zielperspektive der Medienkompetenz. Sein Konzept sowie die von ihm erst später formulierten Dimensionen der Medienkompetenz, die er in Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung unterteilte (vgl. Baacke 1996), wurden in vielfältiger Weise innerhalb der medienpädagogischen Community aufgenommen und weiterentwickelt (vgl. u. a. Aufenanger 1997; Buckingham 2007; Gapski 2001; Groeben/Hurrelmann 2002; Hobbs 2011; Knaus 2020; Tulodziecki 2011). In seiner Habilitationsschrift kommt der Terminus „Medienkompetenz“ zwar noch nicht vor, Baacke legt darin jedoch zentrale Ideen zugrunde, die sein später vorgelegtes Medienkompetenzmodell bis heute anschlussfähig machen. So beschäftigt er sich darin u. a. mit Noam Chomskys Reflexionen zur Sprachkompetenz und Jürgen Habermas’ Konzept der Kommunikativen Kompetenz. Auf dieser Grundlage entwickelt er später das Medienkompetenzkonzept als „Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen“ (Baacke 1996, S. 119). Dabei ist vor allem die Generativität seines Kompetenzkonzepts hervorzuheben: Dieter Baacke orientiert das Modell nämlich nicht an einzelnen medialen Erscheinungsformen, sondern hat im Wesentlichen Kommunikation und Partizipation im Blick. Diese bleiben als Zieldimensionen auch dann relevant, wenn Medien und die ihnen unterliegenden Techniken sich ändern, also auch dann, wenn wir heute – fünf Jahrzehnte und zahlreiche mediale Innovationen später – aus der Perspektive einer vom digitalen Wandel geprägten Welt darauf blicken. Übergeordnetes Ziel sowohl der Kommunikativen Kompetenz als auch der Medienkompetenz ist gesellschaftliche Handlungsfähigkeit (vgl. u. a. Hurrelmann 2002). In diesem Kontext ist v. a. Baackes enge Verknüpfung einer medien- und gesellschaftskritischen mit einer handlungstheoretischen Perspektive hervorzuheben: Handlungsfähigkeit – im Sinne des reflektierten Nutzens und des kreativen Gestaltens von Medien – kann nur auf Grundlage des Durchschauens medialer Strukturiertheit von Welt und Gesellschaft erfolgen, während die handlungsorientiert-gestalterischen Zugänge dem aktiv handelnden Subjekt zugleich Möglichkeiten bieten, Welt selbstbestimmt und kreativ zu gestalten.

Von Baacke zu DigComp – Kritik und Reflexion als Desiderate aktueller Leitbilder

Vergleicht man das Konzept der Medienkompetenz mit aktuellen Reformulierungen von (Bindestrich-) ‚Kompetenzen‘ und alternativen pädagogischen Leitbildern, die sich schwerpunktmäßig auf wünschenswerte Fähigkeiten ‚in der digitalen (Berufs-)Welt‘ richten (vgl. u. a. KMK 2016; Vuorikari/Kluzer/Punie 2022), so ist zu konstatieren, dass die Dimension der Reflexion (und damit zusammenhängend die medien- und v. a. gesellschaftskritischen Perspektiven) hier oft etwas abfallen. Erkennbar wird mitunter ein eher funktionalistischer Bildungs- und Kompetenzbegriff (vgl. Kommer et al. 2016): Das Umgehenkönnen mit Medien steht in neueren Kompetenzformulierungen oft im Fokus. Unterbelichtet bleibt mitunter auch das postulierte Ziel der Bildung (vgl. z. B. KMK 2016), insofern Bildung nicht ohne die reflexiv-kritische Bezugnahme auf die Welt und ihre Dinge – und damit auch auf Medien und die ihnen zugrundeliegende (digitale) Technik – auskommt. Betrachtet man dagegen gerade die reflexive Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt als konstitutiv für den Kompetenzbegriff, so ließen sich Vorstellungen von Kompetenz an den Bildungsbegriff sowie Medienbildungskonzepte anschließen.
Anwendungs- und nutzungsbezogene sowie gestaltungsbezogene Kompetenzdimensionen, wie sie auch in den neueren Leitbildern dargestellt werden, stellen dabei durchaus grundlegende Aspekte dar, da das praktische sach- und zielgerichtete Umgehenkönnen mit Medien und (digitaler) Technik sowie die Mediengestaltung zentrale Voraussetzung für die Realisierung eigener Bedürfnisse und Ziele und damit für soziale Teilhabe ist. Mit Medien und digitaler Technik verantwortungsvoll handeln kann allerdings nur, wer etwas über diese weiß – und gestalten kann nur, wer die Materie zumindest grundlegend kennt. Neue Ansätze wie Coding und (Educational) Making zeigen zudem, dass kritische Reflexion auch auf Grundlage des Handelns erfolgen kann (vgl. u. a. Knaus/Schmidt 2020; vgl. weiterführend auch Tulodziecki 2021): Das aktive Umgehen mit Medien und Technik kann – im pädagogisch begleiteten Umfeld – zu Reflexionsprozessen führen, die das Technische und Mediale digitaler Medien (be-)greifbar machen (vgl. Knaus/Schmidt 2020, S. 14 und 22–25).

Kommunikative Kompetenz – revisited

Trotz aller Differenzen lassen die (zuvor beispielhaft benannten) neueren Leitbilder und Kompetenzmodelle deutliche Anschlüsse an Baackes Überlegungen zur Kommunikativen Kompetenz erkennen, die das Ur-Modell und darauf basierende medienpädagogische Modellierungen von Medienkompetenz anschlussfähig machen für die Frage, was Menschen heute wissen und können müssen, um selbstbestimmt handeln und Welt aktiv mitgestalten zu können. DigComp wie auch die Kompetenzdimensionen des KMK-Strategiepapiers (2016/2021) formulieren Zielvorstellungen, die auf Kommunikation, Kollaboration und den versierten Umgang mit medial vermittelten Informationen fokussieren. Sie versuchen damit, den einschneidenden Transformationen gerecht zu werden, die der digitale Wandel insbesondere im Hinblick auf diese Handlungsfelder ausgelöst hat (vgl. u. a. KMK 2016/2021; Vuorikari/Kluzer/Punie 2022). So zählen Kommunikations- und Kollaborationsfähigkeiten im sogenannten 4K-Modell als zwei der vier zentralen ‚21st Century Skills‘. Dass es auch Dieter Baacke im Wesentlichen um Kommunikation und Partizipation geht, macht seine Überlegungen zur Medienkompetenz also an neuere Anforderungen anknüpfbar. Was aber bedeuten Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung vor dem Hintergrund des digitalen Wandels und inwieweit halten diese Vorstellungen zumindest konzeptionell den technologischen Bedingungen der digitalen Welt stand? Immerhin haben sich die medialen Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten durch den digitalen Wandel erheblich erweitert und verändert: So haben sich die zunehmend durch Software und Algorithmen gesteuerten Medien zu partizipativen Kommunikations- und ‚Denkwerkzeugen‘ gewandelt und die wachsende technische Vernetzung digitaler Medien ermöglicht nicht nur neue Medienfunktionen, die umfangreichere Prozessorleistungen und Datenbanken der Cloud voraussetzen, sondern überdies auch eine neue und umfänglichere soziale Vernetzung (vgl. Knaus 2020a, S. 37–45). Die gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung dieser technischen Entwicklungen stellt dabei erweiterte Anforderungen an die Medien- und Technikkritik (vgl. u. a. Niesyto/Moser 2018). Zu fragen wäre hier beispielsweise, inwieweit das für Baacke leitende Motiv der Kommunikativen Kompetenz auch vor dem Hintergrund der neueren technologischen Entwicklungen tragfähig ist: Kann das Habermas’sche Postulat herrschaftsfreier Kommunikation als Leitbild herangezogen werden, um (neue) Machtverhältnisse von Kommunikations-, Interaktions- und Informationsprozessen zu reflektieren? Inwieweit lassen sich daran Möglichkeiten und Begrenzungen gegenwärtiger Medien- und Technikgestaltung (vgl. Knaus 2020a), der Einfluss großer IT-Konzerne (vgl. u. a. Niesyto 2021) sowie die Geschäftsmodelle und Strategien von (Online-)Plattformen (vgl. u. a. Seemann 2021) reflektieren? Und nicht zuletzt: Was bedeutet Kommunikative Kompetenz eigentlich hinsichtlich der Tatsache, dass auch Computer und digitaltechnische Systeme heute in immer größeren Bereichen unseres Lebens „mitkommunizieren“ (vgl. Baecker 2007) und dabei machtvolle Entscheidungsbefugnisse weitgehend unreflektiert an nicht-menschliche Systeme ausgelagert werden (vgl. Knaus 2020a, S. 40–45)?

 

[AU/EN/NZ/US] Media literacy or media education (Baacke 1996 and Jörissen/Marotzki 2009), information and news literacy (Meßmer et al. 2021), digital (basic) education (Swertz 2018), "digitale Mündigkeit" (Bleckmann 2012), "digitale Souveränität" (Bettinger/Reißmann 2022), informational self-determination (Albers 2015), computer science education (Humbert 2011), computational thinking (Wing 2006), digital literacy (Buckingham 2007), data literacy (Van Audenhove et al. 2020) or "DigComp" (Vuorikari et al. 2022) – what do people actually need in order to be socially capable (Hurrelmann 2002) in a world shaped by (digital) media (Brüggemann et al. 2016; KMK 2016) to be socially capable of acting (Hurrelmann 2002)? Media education has been addressing this question for five decades, believe it or not! On the occasion of the fiftieth anniversary of Dieter Baacke's postdoctoral thesis, the 23rd edition of LBzM is dedicated to the traditional media education model of media literacy – against the backdrop of digital change. Fifty years ago, Dieter Baacke published his habilitation, Communication and Competence (Baacke, 1973), which laid the foundation for a central objective in media education discourse: media literacy. His concept, as well as the dimensions of media literacy that he later formulated, which he divided into media criticism, media studies, media use, and media creation (Baacke 1996), were received and further developed in a variety of ways within the media education community (e.g., Aufenanger 1997; Buckingham 2007; Gapski 2001; Groeben/Hurrelmann 2002; Hobbs 2011; Knaus 2020; Tulodziecki 2011). Although the term “media literacy” does not yet appear in his habilitation thesis, Baacke lays the foundation for central ideas that make his later media literacy model relevant to this day. Among other things, he deals with Noam Chomsky's reflections on language competence and Jürgen Habermas' concept of communicative competence.On this basis, he later developed the concept of media literacy as “the ability to actively use all types of media for human communication and action” (Baacke 1996, p. 119). The generativity of his concept of literacy is particularly noteworthy: Dieter Baacke does not base his model on individual media manifestations, but focuses primarily on communication and participation. These remain relevant as target dimensions even when media and the technologies underlying them change, i.e., even when we look at them today—five decades and numerous media innovations later—from the perspective of a world shaped by digital change.

From Baacke's Media Literacy to DigComp: Criticism and Reflection as Desiderata of Current Models

Comparing the concept of media literacy with current reformulations of (hyphenated) ‘competencies’ and alternative educational models that focus on desirable skills ‘in the digital world’ (KMK 2016; Vuorikari/Kluzer/Punie 2022), it can be said that the dimension of reflection (and the related media-critical and, above all, socio-critical perspectives) often falls by the wayside here. A more functionalist concept of education and competence is sometimes apparent (Kommer et al. 2016): The ability to deal with media is often the focus of more recent formulations of competence. The postulated goal of education (e.g. KMK 2016) also remains underexposed, insofar as education cannot do without a reflexive-critical reference to the world and its things – and thus also to media and the (digital) technology underlying them. If, on the other hand, we consider people's reflective engagement with their environment to be constitutive of the concept of competence, then ideas of competence could be linked to the concept of education and media education concepts.Application- and usage-related as well as design-related competence dimensions, as presented in the newer models, represent fundamental aspects, since the practical, objective, and goal-oriented ability to use media and (digital) technology, as well as media design, are central prerequisites for the realization of one's own needs and goals and thus for social participation. However, only those who know something about media and digital technology can use them responsibly, and only those who have at least a basic knowledge of the subject matter can design them. New approaches such as coding and (educational) making also show that critical reflection can also be based on action (Knaus/Schmidt 2020; see also Tulodziecki 2021 for further information): Active engagement with media and technology can – in an educationally supported environment – lead to processes of reflection that make the technical and media aspects of digital media tangible (Knaus/Schmidt 2020, pp. 14 and 22–25).

Communicative competence – revisited

Despite all their differences, the newer models and competency models (mentioned above) clearly draw on Baacke's ideas about communicative competence, which make the original model and the media education models of media literacy based on it relevant to the question of what people today need to know and be able to do in order to act independently and actively shape the world. DigComp, as well as the competency dimensions of the KMK strategy paper (2016/2021), formulate objectives that focus on communication, collaboration, and the skilled handling of information conveyed by the media. In doing so, they attempt to do justice to the radical transformations that digital change has triggered, particularly with regard to these fields of action (KMK 2016/2021; Vuorikari/Kluzer/Punie 2022). For example, communication and collaboration skills are two of the four central ‘21st century skills’ in the so-called 4K model. The fact that Dieter Baacke is also primarily concerned with communication and participation means that his thoughts on media literacy can be linked to more recent requirements. But what do media criticism, media studies, media use, and media design mean against the backdrop of digital transformation, and to what extent do these concepts stand up, at least conceptually, to the technological conditions of the digital world? After all, digital transformation has significantly expanded and changed the possibilities for media communication and participation: For example, media, which are increasingly controlled by software and algorithms, have transformed into participatory communication and ‘thinking tools’, and the growing technical networking of digital media not only enables new media functions that require more powerful processors and cloud databases, but also new and more extensive social networking (Knaus 2020a, pp. 37–45). The socio-cultural significance of these technical developments places increased demands on media and technology criticism (e. g. Niesyto/Moser 2018). One question that could be asked here, for example, is to what extent Baacke's guiding motif of communicative competence is still viable against the backdrop of recent technological developments: Can Habermas' postulate of non-dominant communication be used as a model for reflecting on (new) power relations in communication, interaction, and information processes? To what extent can this be used to reflect on the possibilities and limitations of current media and technology design (Knaus 2020a), the influence of large IT corporations (e. g. Niesyto 2021), and the business models and strategies of (online) platforms (Seemann 2021)? And last but not least: What does communicative competence actually mean in light of the fact that computers and digital technology systems are now “communicating” in ever greater areas of our lives (Baecker 2007), thereby outsourcing powerful decision-making powers to non-human systems largely without reflection (Knaus 2020a, pp. 40–45)?

 

Links zu ausgwählten Veröffentlichungen

LBzM (2023): 50 Jahre Medienkompetenz und kein bisschen weiter? Von der Kommunikativen Kompetenz zu DigComp. Ludwigsburger Beiträge Zur Medienpädagogik – LBzM, 23, https://www.medienpaed-ludwigsburg.de/issue/view/29

Knaus, Thomas/Merz, Olga/Junge, Thorsten (2023): 50 Jahre Medienkompetenz und kein bisschen weiter? Von der Kommunikativen Kompetenz zu DigComp (Editorial). Ludwigsburger Beiträge Zur Medienpädagogik, 23, 1–20. https://doi.org/10.21240/lbzm/23/01

Stand: September 2024

Weitere Informationen

Status
Veröffentlichung Call for Papers (September 2022)
Einreichung der Abstracts zur Beitragsankündigung | Submission of abstracts (Oktober 2022)
Rückmeldung zur Annahme der Beiträge | Feedback on acceptance of contributions (November 2022)
Einreichung der Beiträge in OJS | Submission of contributions in OJS (Februar 2023)
Begutachtung | Peer review (Februar/März 2023)
Überarbeitung der angenommenen Beiträge | Revisions of contributions accepted for publication (März bis August 2023)
Redaktion, Produktion | Editing, Production & publication (Juli bis September 2023)
Veröffentlichung | publication (September 2023)